Bundesministerin Ilse Aigner (BMELV) von Ursula Hudson, amtierende
Vorsitzende von Slow Food Deutschland und Rupert Ebner, Schatzmeister und
Zuständiger für Landwirtschaft im Vorstand von Slow Food Deutschland.
Das neue Verbraucherportal der Bundesministerin für Verbraucherschutz sorgt für
Furore. Im Vorfeld wurde es selbst von Kritikern der Ministerin als offizielle, längst
überfällige Kenntnisnahme des Etikettenschwindels in der Lebensmittelindustrie
gelobt. Das öffentliche Interesse war so groß, dass die Seite
www.lebensmittelklarheit.de nach ihrer Freischaltung sofort zusammenbrach:
Service temporarily unavailable.
Diese Panne darf man getrost als positives Zeichen werten. Sie ist
Indiz dafür, dass sich sehr viele Menschen bewusst mit der
Lebensmittelsituation in Deutschland auseinandersetzen. Als kritische
Verbraucher wollen sie schlicht besser essen. Sie fordern Auskunft
darüber, was in ihren Lebensmitteln drin ist und ob das, was drin ist,
dem entspricht, was drauf steht.
Tiefes Unbehagen an der Lebensmittelkultur
Und
zugegeben, diesem Bedürfnis kommt das Portal der Ministerin mit einem
Transparenzversprechen entgegen. Verbraucher können dort Produkte
anmelden, die sie aufgrund einer wahrgenommenen Diskrepanz zwischen
Produktangaben und Produkt für nicht redlich einschätzen, oder gar als
Täuschung empfinden. Die Eingabe wird durch Verbraucherschützer geprüft,
im Falle der berechtigten Beschwerde hat der Hersteller dann eine Woche
Zeit, Stellung zu beziehen. Am Ende werden Beschwerde, Stellungnahme,
ein Kommentar der Verbraucherschützer und die entsprechenden
Produktangaben als Gesamtinfopaket auf dem Portal eingestellt. Unter dem
Button "Geändert" werden die Produkte gelistet, deren Hersteller
bereits auf die Kundenbeschwerden reagiert und ihre Produkte
entsprechend den Angaben auf der Packung geändert haben. Zweifellos
leistet das Portal damit einen Beitrag zur notwendigen Information der
Verbraucher.
Bei weiterem Nachdenken stellt sich jedoch die Frage:
Warum muss Lebensmitteltransparenz überhaupt erst durch ein Portal
herbeigeführt werden. Wieso bedarf es des medienwirksamen Anzapfens der
Schwarmintelligenz (Crowdsourcing) von Verbrauchern, um die Erzeuger in
Deutschland auf die
Grundsätze von Produktwahrheit und -klarheit zu verpflichten? Die
traurige Wahrheit: Weil solche Grundsätze für das, was in Deutschland
auf den Tisch kommt, gesetzlich kaum gelten. Bienenhonig aus Zuckersirup
ist schließlich völlig legal. Von Himbeerjoghurt, der mit Himbeeren
wenig, mit den Errungenschaften der Lebensmittelchemie aber eine Menge
zu tun hat, ganz zu schweigen. Und selbst bei strafbewehrten Verstößen
winken in der Praxis höchstens Geldbußen, die den Erziehungseffekt eines
Falschparker-Knöllchens aufweisen.
Slow Food fordert Rückgewinnung der Ernährungssouveränität
Es
ist offensichtlich, dass Aigners Portal nur ein Hilfskonstrukt ist, das
uns Verbrauchern auch noch Mühe und Aufwand zuweist, wenn es
funktionieren soll. Doch damit tarnt sich das eigentliche Versagen der
Politik. Sie schafft schließlich just die Rahmenbedingungen, die
profitmotivierte Irreführung im Lebensmittelbereich erst ermöglichen.
Und mehr noch: Sie
schafft Rahmenbedingungen, auf die Verbraucher mit einem grundsätzlichen
Unbehagen reagieren.
- Es dämmert immer mehr Menschen, dass
sie im Zug der Industrialisierung der Lebensmittelproduktion ein Stück
Mündigkeit und Souveränität verloren haben. Wir wissen schlicht nicht
mehr, was wir zu uns nehmen, woher es stammt und wie es hergestellt
wurde. Schon bei Gründung von Slow Food im Jahr 1989 war daher die
Rückgewinnung der Ernährungssouveränität ein zentrales Anliegen der
Bewegung. Die Politik muss dafür die Voraussetzungen schaffen. Ein
Lebensmittelportal ist hierzu ein Schritt in die richtige Richtung. Ziel
muss es jedoch sein, dass souveräne Verbraucher und Ko-Produzenten erst
gar nicht auf ein solches Portal zurückgreifen müssen.
- Eine
wichtige Voraussetzung dafür ist, dass Lebensmittel in der Gesellschaft
wieder den Wert zurückerhalten, der ihnen zukommt. Die zentrale Rolle
der Erzeuger und Lebensmittelhandwerker, die Lebensmittel ohne
Helferchen aus der industriellen Werkzeugkiste herstellen können, muss
bewusst gemacht werden. Aus Sicht der Slow Food Bewegung sollte hier
schon im Kindes- und Jugendalter angesetzt werden. Heute wissen junge
Menschen meist alles über Funktionsweise und Herstellung ihres Computers
oder eigenen Autos und nichts über die Nahrungsmittel, die sie zu sich
nehmen. Die Geschmackserziehung als Voraussetzung zur Erlangung
individueller Ernährungssouveränität sollte daher Schulfach sein.
- Lebensmittelklarheit
und -wahrheit muss zum interpretationsfreien Leitgedanken der
gesetzlichen Rahmengebung werden. Wie dies in der Praxis funktioniert,
zeigen die Qualitätskriterien "gut, sauber, fair", die Slow Food bei
allen Erzeugern als Voraussetzung für eine Messezulassung anlegt. So
muss die Herstellung handwerklicher Natur sein, frei von gentechnischen
veränderten Rohstoffen, weitgehend frei von chemischen Zusatzstoffen und
vollkommen frei von Prozesshilfsstoffen.
Die Erfahrung zeigt: Solche Qualitätskriterien sind durchsetzbar und von
den Herstellern bei entsprechendem Know-how auch anwendbar.
Nur
so können wir souverän entscheiden, was auf unseren Teller kommt, und
nur so können Produzenten und bewusste Verbraucher gemeinsam die längst
überfälligen Ernährungswende in Deutschland herbeiführen!
Über Slow Food
- Slow Food ist eine weltweite
Vereinigung von bewussten Genießern und mündigen Konsumenten, die es
sich zur Aufgabe gemacht haben, die Kultur des Essens und Trinkens zu
pflegen und lebendig zu halten. - Slow Food fördert eine
verantwortliche Landwirtschaft und Fischerei, eine artgerechte
Viehzucht, das traditionelle Lebensmittelhandwerk und die Bewahrung der
regionalen Geschmacksvielfalt. - Slow Food bringt Produzenten,
Händler und Verbraucher miteinander in Kontakt, vermittelt Wissen über
die Qualität von Nahrungsmitteln und macht so den Ernährungsmarkt
transparent. - Slow Food ist eine Non-Profit-Organisation
Weitere Informationen: www.slowfood.de